Gegen gefühlte Sicherheitsbedürfnisse – für einen fundierten Diskurs!
Nachdem die Stadtverwaltung bereits im Oktober 2022 die temporären Alkoholverbotszonen etablierte, haben nun Andreas Bausewein (SPD) und Andreas Horn (CDU) dieses Jahr Pläne zur Verschärfung des Verbots und dem Einsatz sogenannter „Kobbs“ (Kontaktbereichsbeamte) umgesetzt. Auch eine umfassende Videoüberwachung wurde vergangene Woche vom Stadtrat auf den Weg gebracht. Bausewein erklärte, dass sich laut einer Umfrage bis zu 90 % der Befragten für eine Videoüberwachung ausgesprochen hätten. Ob und wie diese Umfrage tatsächlich durchgeführt wurde, lässt sich genauso wenig prüfen, wie die Wirksamkeit der bereits viel kritisierten Alkoholverbotszonen auf den Kinder- und Jugendschutz belegt wurde.
Zunächst also ein kurzer Exkurs zur Kriminalitätsstatistik des Erfurter Angers: Erfurt ist nach Angaben der Stadtverwaltung eine der sichersten Städte Deutschlands. Die oft zitierten 1.100 Strafdelikte auf dem Anger beziehen sich keinesfalls nur auf den Platz selbst, sondern auf 10 der umliegenden Straßen, alle umliegenden Geschäfte, Wohnungen und sogar die Straßenbahnen, die den Anger queren.
Des Weiteren gibt es bisher keine Belege dafür, dass der Einsatz von Überwachungskameras die Kriminalität im überwachten Bereich senkt; sicher ist jedoch, dass Kriminalität sich durch Kameraüberwachung vermehrt in anliegende unüberwachte Bereiche verlagert.
Gibt es aber trotz alledem die Aufnahme einer strafrechtlich relevanten Tat, stehen unsere Staatsorgane vor der Aufgabe, das Videomaterial umfassend auszuwerten, was aufgrund fehlender Ressourcen nur mäßig funktioniert – zuletzt offenbart im Strafverfahren zu den Angriffen bei der Staatskanzlei.
Betrachtet man all diese Aspekte, lässt das nur zwei Schlüsse zu: Entweder der CDU, der SPD, Herrn Horn und Oberbürgermeister Bausewein, geht es um die Mobilisierung von Wähler*innenstimmen – entgegen jeglicher Vernunft und Studienlage – ODER es geht ihnen um etwas anderes: Um die Verdrängung und das Unsichtbar machen von Menschen, die nicht in ihr Bild einer gutbürgerlichen, aufgeräumten Stadt passen.
Das sind zum einen die Jugendlichen – Jugendliche und Heranwachsende sollen bloß nicht am Anger oder an anderer Stelle in der Innenstadt stören. Stattdessen werden die Alkoholverbotszonen ausgeweitet und zum Feiern wird der Jugend ein „Spontan-Partyplatz“ im weit entfernten Stotternheim angeboten.
Es ist kein Jugendschutz, die Jugend in ihrer Entwicklung einzuschränken, ihr Räume zur freien Entfaltung zu nehmen und sie aus dem Stadtbild zu verbannen.
Zum anderen sind es wohnungslose, rassifizierte und suchterkrankte Menschen – Vermehrte Polizeikontrollen und der stetige Einsatz von Ordnungsbehörden führt zu einer weiteren Kriminalisierung von Sucht und von Wohnungslosigkeit. Außerdem werden durch die Unsichtbarmachung unterdrückter und benachteiligter Personengruppen strukturelle Probleme unter den Teppich gekehrt.
Statt der Kriminalisierung öffentlichen Alkoholkonsums (dessen Verbot übrigens nicht für die angrenzende Gastronomie oder den alljährlichen Weihnachtsmarkt gilt), statt der Verdrängung gesellschaftlicher Probleme in die Randbezirke Erfurts, statt dem Nachgehen autoritärer Schreie nach
Überwachung zu Ungunsten von rationaler Debatte, braucht es sinnvolle und stichhaltige politische Lösungen.
Es braucht Prävention statt Repression. Das bedeutet aktive und professionelle Streetwork – für die Jugend und für Erwachsene auf dem Anger. Es braucht niedrigschwellige Anlaufstellen der Suchthilfe.
Es braucht eine aktive Beteiligung Jugendlicher an der Gestaltung des öffentlichen Raums, genauso wie es der Stadt- und Landesjugendring schon lange fordern.
Diese Aufgabe können nicht Polizei und Ordnungsamt übernehmen, egal mit welcher Präsenz sie auf dem Anger vertreten sind. Vielmehr findet die Prävention von Sucht und Kriminalität in einem vielschichtigen Netzwerk verschiedener Einrichtungen der Jugendhilfe, der Familie, der Schule und der Stadtteilarbeit statt.
Anstelle unüberlegter Scheinlösungen, die junge Menschen und jene aus prekären Verhältnissen aus der Innenstadt verdrängen und sie in ihrer Freiheit einschränken, fordern wir eine gesamtgesellschaftliche Lösungsstrategie, die vor allem präventive Maßnahmen in den Blick nimmt und eine tatsächliche – statt nur eine gefühlte – Verbesserung für ALLE Erfurter*innen bewirkt.
Diese Stellungnahme wird unterstützt vom Stadtjugendring Erfurt e.V.